Samstag, 6. September 2014

Warum Mehrheitsentscheidungen oft undemokratisch sind - besonders bei einem Volksentscheid über das Abtreibungsrecht

In einem aktuellen Beitrag für DieStandard beschwert sich Antje Schrupp darüber, dass es sich seltsam anfühlt, wenn auf einmal Männer über das Abtreibungsrecht der Frauen abstimmen dürfen:

Mich hat das ganze nochmal zu ein paar demokratietheoretischen Überlegungen gebracht, weil an diesem Beispiel ein grundlegendes Problem des Mehrheitsprinzips deutlich wird: Was ist mit Beschlüssen, die von ihrer Logik her nur bestimmte Menschen betreffen, und andere aber nicht? Ein Verbot der Abtreibung zum Beispiel würde ja nur Menschen betreffen, die schwanger werden können, also praktisch Frauen unter fünfzig. Sie aber wären bei einer solchen Abstimmung auf jeden Fall in der Minderheit.

Nur ein Drittel

Ich habe auf die Schnelle keine genauen Zahlen gefunden, aber das Durchschnittsalter in Deutschland liegt ungefähr bei 43 Jahren, ich würde großzügig gerechnet schätzen, dass höchstens zwei Drittel aller Menschen jünger als 50 sind (bis 49 Jahre werden Frauen in demografischen Berechnungen als "gebärfähig" eingestuft). Wenn davon die Hälfte Frauen sind, so bedeutet das, dass im Falle eines solchen Volksentscheides etwas verboten würde, das nur ein Drittel aller Menschen potenziell tun könnten.

Mit derselben Logik könnte man ja auch über ein Gesetz nachdenken, das alle Menschen, die kleiner sind als 1,50 Meter, dazu verpflichtet, Toiletten in Grundschulen zu putzen. Auch daran gibt es ein öffentliches Interesse (ein deutlich größeres als daran, Abtreibungen zu verhindern), und auch dazu fehlt es an anderen gesellschaftlichen Lösungen.
Die Unterscheidung in Menschen nach Größenkategorien ist in unserer Kultur allerdings nicht üblich, daher finden wir diese Vorstellung spontan absurd. Die Unterscheidung in Menschen nach Gebärfähigkeit hingegen ist kulturell in der Geschlechterdifferenz so tief verankert, dass sie vielen "natürlich" erscheint. Tatsächlich sind beides "natürliche" Phänomene – dass manche Menschen kleiner sind als 1,50 Meter und manche größer ist ebenso natürlich wie dass manche Menschen schwanger werden können und andere nicht.


Der Leser Rainer Käsek kommentiert:

Prinzipiell hat sie Recht, nur wo war der Aufschrei als 55% der Frauen für die Erhaltung der Wehrpflicht gestimmt haben (und noch viel mehr ältere, die sowieso nicht mehr zum Präsenzdienst müssen)?

Das hat sich für Männer nämlich genauso angefühlt, wie es sich für Frauen anfühlen müsste, wenn alte konservative und Nicht-Geschlechtsgenossen über Abtreibungen abstimmen würden. Mit der Ausnahme, dass es die Volksabstimmung zum Heer wirklich gab.


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