Mittwoch, 4. September 2013

Schweiz: Vaterland und Zwang

Der Tagesanzeiger veröffentlicht heute einen Artikel mit dem vielsagenden Titel "Mythos obligatorische Wehrpflicht". Gleich zu Anfang kommt ein junger Mann zu Wort, der sich mit einer Notlüge aus dem Zwang befreien musste. (nebenbei gesagt: ganz im Gegensatz zu seinen weiblichen Altersgenossinnen, die derartige Lügen nicht nötig haben, weil sie nicht zum Dienst gezwungen werden).

Der 21-jährige Jusstudent G. Z.* wollte nicht ins Militär. Also gab er während der Aushebung an, er fühle sich in Gruppen unwohl und könne nicht mit anderen Männern im selben Raum schlafen. Darauf musste der junge Zürcher zum Gespräch mit einem Psychologen, wo er sich auffällig und zerstreut aufführte. Bei der medizinischen Untersuchung gab er zudem an, gelegentlich Kokain zu konsumieren. Das war zwar gelogen – doch G. Z. wurde militärdienstuntauglich. Er hat keine Bedenken, dass ihm diese Lüge schaden könnte: «In meinem Umfeld geht niemand ins Militär. Die Arbeitgeber begrüssen das.» Und falls doch irgendwann jemand seine Akte zu Gesicht bekäme, könne er die Notlüge erklären

Die Unannehmlichkeiten die eine solche Lüge bedeuten, etwa für das Abschließen diverser Versicherungen werden natürlich nicht erwähnt. Vielmehr werden diese Geschichten als Beleg dafür gewertet, dass in der Schweiz ohnehin nur der zum Militär müsse, der dies auch wirklich wolle. 
Weiter verweist der Beitrag auf die hohen Differenzen der "Tauglichkeitsraten" zwischen Stadt und Land. Dafür sind dann sehr schnell Erklärungen zur Hand: 

In Appenzell Innerrhoden ist man derweil stolz auf die höchste Tauglichkeitsrate der Schweiz. «Die jungen Männer erachten die Militärdienstpflicht, die für die Allgemeinheit geleistet wird, als selbstverständlich», sagt Erziehungsdirektor Roland Inauen. Für Kantonsarzt Renzo Saxer ist die hohe Tauglichkeit «Ausdruck einer positiven Grundhaltung zum Vaterland». Zudem suche man in Appenzell nicht wegen jeder Kleinigkeit den Arzt auf. Eine weitere Auskunftsperson spricht davon, dass im Kanton auch ein grosser Druck bestehe, aus Familientradition Militärdienst zu leisten.

Eine positive Grundhaltung zum Vaterland? Gut, wenn Zwangsdienstbeführworter auf diesem Niveau argumentieren können wir uns getrost von ihnen abgrenzen. 
Gut, dass wenigstens die GSoA einen kühlen Kopf bewahrt: 

Für die Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA) sind die unterschiedlichen Tauglichkeitsraten ein weiteres Argument für die Abschaffung der Wehrpflicht. «Die Zahlen belegen, wie willkürlich die Wehrpflicht ist», sagt GSoA-Sprecher Nikolai Prawdzic. Ohnehin leisteten nur ein Drittel der Stellungspflichtigen alle Militärdiensttage. Armeesprecher Walter Frik weist diese Zahl zurück. Zwar müssten zurzeit noch jedes Jahr Soldaten entlassen werden, die ihre Dienstpflicht nicht vollständig erfüllt, aber die Altersgrenze von 34 Jahren erreicht haben. «Insgesamt leisten aber 45 bis 50 Prozent eines Jahrgangs ihre Militärdienstpflicht vollständig», sagt Frik. Zudem werde künftig strenger mit Dienstverschiebungsgesuchen umgegangen. «Will ein Soldat seinen WK verschieben, wird sofort ein alternatives Datum möglichst im selben Jahr gesucht», sagt Frik. So wolle man verhindern, dass Soldaten den WK immer wieder verschieben – bis sie altersbedingt entlassen werden.

Ein Blick in die Kommentarspalte zeigt wie das Thema inzwischen hochgekocht ist: der Artikel hat innerhalb von wenigen Stunden bereits über hundert Kommentare. 


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen